HAMLET von William Shakespeare
Er war erst 17, als er beschloss, der Welt den Rücken zu kehren. Er begann, Bücher zu lesen, was er bis dato nie getan hatte, und zog sich von seinen Freunden zurück, denen er vorwarf, selbstsüchtig und eitel zu sein. Er stellte seine Ernährung um und begann, die Frauen seiner Umgebung zu provozieren – manchmal forderte er sie auch zornig auf, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Schließlich gab er seinen Eltern und der Gesamtheit der Erwachsenen die Schuld an der Verkommenheit der Welt, die anders nicht mehr zu retten sei als durch vollständige Zerstörung. Und das genau sei sein Auftrag. – So oder so ähnlich könnte Hamlets Geschichte erzählt werden, würde sie sich heute ereignen. Und obwohl diese Geschichte über 400 Jahre alt ist, gibt es Hamlet und seinen Auftrag immer noch. Hamlets Geschichte will erzählt werden. Dieser Text, der laut dem Shakespeare-Forscher Harold Bloom nach der Bibel der meistzitierte Text der abendländischen Literatur ist, drängt sich geradezu auf – „Hamlet“ ist ein Imperativ. Und Hamlet will ein Imperativ sein. Sterbend gibt er den Auftrag, seine Geschichte in die Welt zu tragen, und seit Jahrhunderten nehmen Theater weltweit diesen Auftrag an. „Hamlet“! Hamlet!
Christopher Rüping ist seit der Spielzeit 2016/17 Hausregisseur an den Münchner Kammerspielen. Über die gesamte Spielzeit hinweg erarbeitete er mit dem Ensemble der Kammerspiele „Das Leben. Gebrauchsanweisung“ von Georges Perec an verschiedenen Orten des Theaters und in verschiedenen Formaten. Auf den Bühnen der Kammerspiele inszenierte er nach Dostojewskis „Der Spieler“ im Frühjahr 2017 die Uraufführung von Miranda Julys „Der erste fiese Typ“ und Brechts „Trommeln in der Nacht” in der Kammer 1 und in der Kammer 2 eben „Hamlet“, Shakespeares Werk über einen radikalen Zweifler, der zu klug ist für die Hoffnungslosigkeit und seinen Zorn in die totale Auslöschung überführt.